
Izabela Mittwollen
SEIN II
Es ist Ende Mai. Ich fahre zu meinem zweiten Treffen mit dem Schauspieler Jo Schmitt. Wir sind im Globe verabredet. Ich bin viel zu früh da und nutze die Zeit, um mich in der ehemaligen Donnerschweer Kaserne umzuschauen, die sich zu einem schicken Wohnviertel mausert. Jo kommt mit dem Fahrrad und drei Anzügen an. Es sind die Kostüme der drei letzten Rollen, die er gespielt hat. Im Moment spielt er gar nicht. Alle Produktionen seien gestoppt worden, erzählt er mir, während er die Hintertür des von außen unscheinbaren Globe öffnet.
Drinnen weht ein Hauch von lang vergangenem Glanz. Es kann sein, dass der “Hauch“ doch eher auf den kläglichen Zustand des Gebäudes zurückzuführen ist und auf das Loch in der Seitenwand, das vor kurzem von einem Bagger reingerissen wurde. Dennoch… Es ist ein bemerkenswertes Gebäude, und die anfänglichen Zweifel, ob es der richtige Ort für ein Shooting ist, sind bei dem Anblick des großen Saals, der Bühne (mit richtigen Brettern und einem Orchestergraben) und den mit Stoff verkleideten Wänden, an denen noch originale Lampen hängen, im Nu verschwunden. Wir schmeißen alle Scheinwerfer an, die wir haben. Ich bin verzaubert.
Jo erzählt mir, wie es ihm geht und was er in der Krise so tut. Er spricht von Shakespeare und davon, dass er gerade den weltberühmten Hamlet-Monolog auswendig lernt. Einfach nur so. Weil er Zeit hat. Alles sei so entschleunigt und man könne einfach nur sein. Er sei so in der Schwebe und genieße es ein bisschen, auch wenn er finanzielle Einbüßen hinnehmen müsse. Er sei aber noch entspannt und komme auch mit weniger zurecht. Er brauche nicht viel.
Während Jo sich in den von ihm erfundenen Mr. Globe verwandelt, richte ich die Scheinwerfer aus und hole einen gelben – oder doch eher senffarbenen – Sessel aus einer Ecke nach vorne. Er macht sich prächtig neben den blauen Vorhängen.
Die Bilder, die ich machen möchte, sind bereits in meinem Kopf. Es sind zu viele. Alle werde ich heute nicht schaffen, denke ich so bei mir, just in dem Moment, als Mr. Globe auf der Bühne erscheint. Er sieht wie das Gebäude aus – grandios! Wir holen noch die riesigen Leuchtbuchstaben, die im Graben stehen, auf die Bühne – GLOBE. Ich korrigiere die Lichter und renne nach oben, wo früher die Vorführkabine war. Ich fotografiere durch die Projektions- und Schauöffnungen. Aus der Entfernung zu kommunizieren, ist schwierig, also renne ich noch zweimal nach unten und wieder zurück und bin echt dankbar, dass Jo ein Profi ist und nicht viele Anweisungen braucht. Ich probiere verschiedene Winkel und Brennweiten aus. Schneide die ersten drei Buchstaben von „Globe“ ab und mache eine Bilderserie von Jo in verschiedenen Posen. Zwei Fotos gefallen mir besonders gut. Hier kommt der Schatten vom „E“ besonders gut zur Geltung, der sich bis zu den Füßen von Mr. Globe hinzieht. Ich bin zufrieden.
Unten wieder angekommen, mache ich noch ein paar Fotos aus verschiedenen Perspektiven, dann legen wir eine kleine Pause ein und besprechen das nächste Foto. Ich befestige meine Kamera auf einem Stativ. Ich vermeide die Arbeit mit Stativen gerne, weil ich mich davon eingeschränkt fühle und nicht spontan auf Situationen reagieren kann. Manchmal geht es aber nicht anders. So wie bei meinem zweiten Bild aus der „Sein“-Reihe, einer Mehrfachbelichtung. Viermal Jo – aber nur einmal wirklich er, schwebend. Für dieses Foto muss er sich dreimal umziehen und in die jeweilige Rolle schlüpfen. Aber wie gesagt, Jo ist ein Profi und tut einfach, was er sonst auf der Bühne tut – spielen. Es läuft wie am Schnürchen.
Als wir nach beinahe sechs Stunden und vier Kostümwechseln fertig sind, ist es fast 21 Uhr. Zuhause angekommen, sichte ich die Bilder und bearbeite einige davon bis spät in die Nacht. Ich denke über das „Sein“ nach und über „Globe“ und wünsche mir, dass das alte Kino wieder ein Ort der Begegnungen sein darf.
Ort: Globe
Zeit: Mai 2020
Projekt: „Tatendrang“
Kooperationspartner: Jo Schmitt als Mr. Globe und Globe